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wer weiß welcher anderen Kulte, und auf diese wendet
er nicht seine These des Kontinuums an. Dieses Konti-
nuum kann ich auch als Wissenschaftlerin nicht ernst
nehmen: ich müßte sonst jedesmal Trauerkleidung an-
legen, wenn ein unbefruchtetes Ei abstirbt, wenn es den
zweihundert Millionen Spermien nicht gelingt, seine
Membran zu durchstoßen. Und noch schlimmer, ich
müßte auch Trauer anlegen, wenn es befruchtet wird: im
Gedenken an die neunhundert-neunundneunzig Mil-
lionen und neunhundertneunundneunzigtausendneun-
hundertneunundneunzig todgeweihten Spermien, be-
siegt von dem einen Spermium, welches das Membran
durchstoßen hat. Auch sie sind Geschöpfe Gottes. Auch
sie sind lebendig und bergen alle Elemente, die ein In-
dividuum formen. Hat sie mein Kollege denn nie unter
dem Mikroskop beobachtet? Hat er sie denn nie sausen
sehen wie ein Schwarm schwänzelnder Kaulquappen,
wie sie sich gegen die pelluzide Zone abmühen, wie sie
kämpfen und in blinder Verzweiflung mit dem Kopf da-
gegen rennen, wohl wissend, daß versagen sterben heißt?
Ein erschütterndes Schauspiel: indem mein Kollege es
ignoriert, erweist er sich seinem eigenen Geschlecht ge-
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genüber nicht sehr großmütig. Ich möchte mich nicht
zu billiger Ironie verleiten lassen, aber da er doch so
sehr an das Leben glaubt, wie kann er dann Milliarden
und Abermilliarden Spermien sterben lassen, ohne et-
was dagegen zu unternehmen? Verweigerung von Hil-
feleistung oder Verbrechen? Selbstverständlich Verbre-
chen: auch er müßte hier in diesem Käfig sein. Geht er
nicht hinein, und zwar unverzüglich, so zeigt dies, daß
er uns belogen hat und seine Redlichkeit durch dieje-
nigen ins Wanken gebracht wird, für die das Problem
nicht darin besteht, eine große Anzahl von Individuen
hervorzubringen, sondern die Existenz der bereits Ge-
borenen weniger unglücklich zu gestalten.
Wiederum was meinen Kollegen betri , so erspa-
re ich es mir, seine Unterstellung einer Mittäterschaft
ernst zu nehmen. Allenfalls könnte ich einer irrigen
Einschätzung bezichtigt werden, aber nicht einmal ein
Geschworenengericht des Lebens kann eine irrige Ein-
schätzung verurteilen. Im übrigen war sie nicht irrig:
sie war nur eine Meinung, derer ich mich nicht zu schä-
men brauche. Die Schwangerschaft ist keine von der Na-
tur auferlegte Buße für den Wonneschauer eines Au-
genblicks. Sie ist ein Wunder, das sich mit der gleichen
Spontaneität vollziehen muß, mit der auch die Bäume
und die Fische gesegnet sind. Entwickelt sie sich nicht
normal, kann man von einer Frau nicht verlangen, wie
eine Gelähmte monatelang das Bett zu hüten. Anders
ausgedrückt, man kann von ihr nicht die Aufgabe ih-
rer Tätigkeit, ihrer Persönlichkeit, ihrer Freiheit verlan-
gen. Verlangt man dies vielleicht von einem Mann, der
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diesen Schauer noch viel mehr genießt? Offenbar will
mein Kollege den Frauen nicht das gleiche Recht zuge-
stehen wie den Männern: über den eigenen Körper zu
verfügen. Offenbar betrachtet er einen Mann gleichsam
als eine Biene, der es erlaubt ist, von Blüte zu Blüte zu
schwirren, und eine Frau als Gebäreinrichtung, die nur
der Fortpflanzung dient. Das passiert in unserm Beruf
vielen: beliebteste Patientinnen der Gynäkologen sind
die sanften, dicken Gebärerinnen ohne Freiheitsproble-
me. Immerhin sind wir nicht hier, um über die Ärzte
zu urteilen. Wir sind hier, um über eine Frau zu urtei-
len, die des überlegten Mordes beschuldigt wird, aus-
geführt mit Gedanken statt mit Instrumenten. Ich wei-
se die Anklage aufgrund präziser Tatbestände zurück.
An dem Tag, als ich diagnostizierte, daß alles in Ord-
nung sei, beobachtete ich bei ihr eine große Erleichte-
rung. An dem Tag, als ich eingestand, daß der Fötus tot
ist, beobachtete ich bei ihr einen großen Schmerz. Ich
sagte Fötus und nicht Kind: die Wissenschaft gestat-
tet mir diese Unterscheidung. Wir alle wissen, daß ein
Fötus erst im Augenblick der Geburtsreife zum Kind
wird und dieser Augenblick im neunten Monat eintritt.
In Ausnahmefällen auch im siebten Monat. Doch neh-
men wir einmal an, es handelte sich nicht mehr um ei-
nen Fötus, sondern um ein Kind: auch in diesem Fall
wäre das Verbrechen inexistent. Mein lieber Herr Kol-
lege, diese Frau wollte nicht den Tod ihres Kindes: sie
wollte ihr eigenes Leben. Und leider bedeutet unser Le-
ben in gewissen Fällen den Tod eines anderen und das
Leben eines anderen unsern Tod. Wer schießt, auf den
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wird geschossen. Das geschriebene Gesetz nennt dies
legitime Notwehr. Wenn diese Frau jemals unbewußt
den Tod ihres Kindes gewünscht hat, so tat sie dies aus
legitimer Notwehr. Also ist sie nicht schuldig.«
Dann stand dein Vater auf, er weinte nicht mehr. Aber
kaum hatte er die Lippen zum Sprechen geöffnet, be-
gann sein Kinn zu zittern und die Tränen kamen von
neuem. Wieder hielt er die Hände vor die Augen und
sank auf seinen Sitz zurück. »Sie verzichten also auf
Ihr Wort?« fragte der Arzt verärgert. Dein Vater senk-
te fast unmerklich, bejahend den Kopf. »Doch auf Ihre
Stimmabgabe dürfen Sie nicht verzichten«, drängte der
Arzt. Dein Vater schluchzte auf. »Ihr Votum, bitte!« Dein
Vater putzte sich die Nase. »Schuldig oder nicht schul-
dig?« Dein Vater tat einen langen Seufzer und murmelte:
»schuldig«. Da geschah etwas Furchtbares: meine Freun-
din drehte sich zu ihm und spuckte ihn an. Und wäh-
rend er sich, blaß geworden, abwischte, schrie sie ihn
an: »Feigling! Gemeiner, scheinheiliger Kerl! Du hast sie
doch nur deswegen angerufen, damit sie es beseitigen
soll. Du hast dich doch wie ein Deserteur zwei Monate
lang versteckt gehalten. Du bist doch nur zu ihr gegan-
gen, weil ich dich darum gebeten hatte. So macht ihr
das doch, nicht wahr? Ihr bekommt es mit der Angst zu
tun und laßt uns allein, und dann sieht man euch höch-
stens, wenn es um die Vaterschaft geht, wieder. Was ko-
stet sie euch denn, diese Vaterschaft? Vielleicht einen lä-
cherlich dicken Bauch? Die Leiden der Geburt, die Qua-
len des Stillens? Die Frucht eurer Vaterschaft wird euch
prompt serviert wie eine gargekochte Suppe, wird euch
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aufs Bett gebreitet wie ein frischgebügeltes Hemd. Ihr
braucht ihm doch nur einen Familiennamen zu geben,
wenn ihr verheiratet seid, und nicht einmal den, wenn
ihr euch davongemacht habt. Die Frau trägt alle Verant-
wortung, allen Schmerz, alle Beschimpfung. Wenn sie
mit euch im Bett gewesen ist, nennt ihr sie Hure. Eine
männliche Form von Hure steht nicht im Wörterbuch:
wollte man sie bilden, wäre es ein Sprachverstoß. Seit
Jahrtausenden oktroyiert ihr uns eure Vokabeln, eure
Vorschrift en, eure Mißbräuche. Seit Jahrtausenden be-
nutzt ihr ungestraft unsern Körper. Seit Jahrtausenden
verdammt ihr uns zum Schweigen und zwängt uns in
die Mutterrolle. In jeder Frau sucht ihr die Mutter. Von
jeder Frau verlangt ihr, daß sie euch Mutter sein soll: so-
gar, wenn sie eure eigene Tochter ist. Ihr sagt, daß wir
nicht eure Muskeln haben, aber dann beutet ihr unsere
Arbeitskraft aus, damit wir euch sogar die Schuhe put-
zen. Ihr sagt, daß wir nicht euren Verstand haben, aber
dann beutet ihr unsere Intelligenz aus, damit wir sogar
mit eurem Lohn haushalten. Immer bleibt ihr Kinder,
bis ins Alter hinein, Kinder, die gefüttert, gesäubert, be-
dient, beraten, getröstet, vor ihren eigenen Fehlern und
Bequemlichkeiten beschützt werden müssen. Ich verach-
te euch. Und verachte mich selbst, weil ich nicht ohne
euch sein kann, weil ich euch nicht öfter anschreie: wir
haben es satt, euch zu bemuttern! Und wir haben das [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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